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Thema: Lied des Wahnsinns

  1. #1
    Neuankömmling Avatar von Anatrocolo
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    Lied des Wahnsinns

    Sehr verehrte Leser (und Moderatoren, die ja auch unsere Leser sind ^^ … hoffen wir …),

    mit der Eröffnung dieses Threads beginnen wir eine längere Geschichte, die euch hoffentlich restlos begeistern wird.
    Wir … das sind der gute Chris_Sabion und meine Wenigkeit: zwei Schreiberlinge, die sich nach sage und schreibe 10 Jahren durch Zufall im global- Chat der guten Glitzerstadt von DSO wieder gefunden haben. Man muss sich nur mal vorstellen wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, sich nach so langer Zeit in einem recht schnelllebigen Medium inmitten Millionen anderer O-Gamer trotz Nickwechsel wieder zu finden, um zu erahnen, wie sehr wir uns freuen, wieder gemeinsam die Feder rocken zu können. Aber genug der alten Geschichten, die eh keinen interessieren… (entschuldigt die lange Einleitung…)

    Unsere Geschichte wird sich von den anderen Schreibereien ein wenig unterscheiden. Daher bitte ich euch, nicht einfach beim Bild weiter zu machen (^^), sondern erst unsere Erklärungen und Bitten zu lesen und sie dann auch zu respektieren.

    Und zwar werden wir beide (und auch bitte nur wir beide) diese Geschichte gemeinsam schreiben, allerdings immer im Wechsel. Das heißt, die grobe Storyline stammt von uns beiden, die einzelnen Texte vom jeweiligen Schreiber. Daher wird es auch nicht nur einen Post geben, sondern jeder wird einfach auf den Beitrag des Vorschreibers antworten. So wird die Geschichte fortgeführt bis wir entweder inaktiv werden, keine Lust mehr haben und daher die Story abkürzen oder eben das komplette Programm durchziehen und euch auf eine hoffentlich abenteuerliche und nicht von FSKs und Mods (sorry ^^) ausgebremste Reise durch gute und auch schlechte Zeiten mitzunehmen. (Omg, das wird quasi „GZSZ“ für DSO… nur nicht so langweilig … XD)
    Also ist das Ende erst dann gekommen, wenn ENDE darunter steht. Das heißt, wir werden je nach Schreibfieber und Zeit immer weiter schreiben. Zwar wird es irgendwann auch immer spannender, wie es wohl weiter gehen mag, aber wir bitten euch, geduldig auf die Fortsetzung zu warten, auch wenn das eventuell mal eine Woche dauern kann. Wir sind auch nur Menschen mit Arbeit, Familie und dem Bedürfnis, wenigstens ab und an ein wenig zu schlafen. Daher wird es auch nichts bringen, uns per ig, per Forenmail oder direkt im Thread auf eine Fortsetzung zu drängen.

    Und damit komme ich auch gleich zu unserem nächsten Anliegen:
    Die Geschichte wird aus mehreren Posts bestehen. Daher wird es auch für euch störend sein, wenn Ihr euch durch seitenlange Antworten blättern müsst. Wir werden daher für diese Geschichte einen Extra-Thread eröffnen (Vielen, vielen Dank an Loreley für diesen heißen Tipp), in dem Ihr gerne Kommentare, Anregungen, Fragen und, wenn Ihr es für angebracht haltet, auch Kritik loswerden könnt. Wir freuen uns zwar auch über Post, für diese Story bitten wir euch aber, den entsprechenden Thread zu nutzen. Bittet haltet euch daran.
    Wir bitten die Mods höflichst, die Einhaltung dieser Bitte zu überwachen und „fremde“ Posts in diesem Thread einfach zu entfernen/ verschieben.

    Damit hätten wir auch den fließenden Übergang zu der von uns nicht sonderlich geliebten FSK. Wir bemühen uns, die Story – wie gefordert – im FSK0- Bereich zu halten, bitten aber um einen kleinen Hinweis von unseren Moderatoren, sollten wir uns zu sehr ins Getümmel vertiefen. ^^ Sollten unsere Ausführungen den Moderatoren missfallen, werden wir den entsprechenden Textteil vorübergehend entfernen und umformulieren, sobald wir Zeit dazu finden.

    Bedanken möchten wir uns bei der lieben Moderatorin Loreley, die unsere unangenehmen, seitenlangen Fragen geduldig über sich hat ergehen lassen und uns damit bei unseren formalen Problemen hilfreich zur Seite stand.

    Als Letztes möchte ich noch sicherheitshalber darauf hinweisen, dass ALLE Bezüge zu Orten, Namen und Gegebenheiten nicht absichtlich sondern frei erfunden und daher zufällig sind. Ausnahme bilden hier eigentlich nur die spielbezogenen Bezeichnungen für die Inseln, die Gebäude und so weiter.

    Doch nun wünschen wir euch viel Spaß mit:








    echts noch ein bisschen höher!“, sagte der Alte. „Hey rechts, nicht links!“
    Jergen, der junge Bursche auf der rechten Leiter, hob das Banner noch ein wenig an.
    „So, jetzt nagelt das verdammte Ding fest, wir wollen endlich fertig werden!“, schimpfte der Greis und humpelte, auf seinen Stock gestützt, davon. Geschickt auf der Leiter balancierend zog der junge Steinmetz einen schweren Hammer aus einer Schlaufe an seinem Werkzeuggürtel und angelte ein paar Nägel aus dem Lederbeutel daneben. Im gleichen Takt wie sein Freund Grie auf der anderen Leiter schlugen sie die Nägel in die dicken Stämme.
    Auf dem Spruchband stand in großen Buchstaben „Erntedankfest“, verziert mit Bildern von reifen Früchten und Kornblumen. Zusammen mit einigen übereinander gestapelten Ballen aus Stroh bildete es den Haupteingang zum Festplatz des Dorfes, der heute, am Rande des Dorfes gelegen, Schauplatz von Unterhaltung und Tanz sein sollte.

    Natürlich würde es nebenbei auch jede Menge gutes Essen und Wettkämpfe um den größten Kürbis oder den Schützenkönig geben, aber das interessierte Jergen heute nicht. Er wollte ein Mädchen mit seinem Können beim Tanzen beeindrucken. Genauer gesagt sein Mädchen.
    Er war ihr schon häufiger auf dem Markt begegnet, wenn sie für die Herrin, der sie diente, Einkäufe erledigte. Meist besuchte sie alle Händler auf dem Markt, auch wenn sie deren Waren gar nicht kaufen wollte. Aber die schönen Schmuckstücke und edlen Stoffe, die die Kaufleute von den anderen Inseln oder sogar vom Festland mitbrachten, zogen die junge Frau scheinbar magisch an. Wenn sie dann mit leuchtenden Augen vor den Marktbuden stand und funkelnde Ringe oder reich bestickte Kleider bestaunte, war Jergen immer ganz in ihrer Nähe und beobachtete sie. Er mochte ihr Lächeln und die Leidenschaft in ihrem Blick. Er würde alles dafür geben, wenn sie eines Tages ihn einmal so ansehen würde.

    Beim Erntedankfest heute Abend wollte er sich endlich einmal dazu durchringen und seine Inessa zum Tanz auffordern. Er hatte das Tanzen schon seit Wochen heimlich in der Marmorwerkstatt geübt, wenn die anderen Burschen schon bei einem großen Krug Malzbier im Wirtshaus „Zum Hinkenden Pony“, der bekanntesten Schänke der Insel, beisammen saßen. Vielleicht würde er sich auch trauen, Inessa zu fragen, ob sie mit ihm in einem Boot zur Vogelinsel fahren würde, die wegen der vielen romantischen Buchten und dem bezaubernden Gesang der zahlreichen bunten Vögel bei jungen Paaren sehr beliebt war.
    Bisher hatte er aber immer nur kurz mit ihr gesprochen, wenn sie sich die fein gearbeiteten Statuen ansah, die sein Meister hin und wieder von ihm oder einem anderen Lehrling auf dem Markt verkaufen ließ. Deswegen war er sich seiner Sache auch noch nicht sicher.
    ‚Heute ist meine Chance gekommen. ‘, dachte Jergen und blickte noch einmal von seiner Leiter aus über den Festplatz.

    Voller Vorfreude auf den kommenden Abend stieg er rasch von der Leiter herunter, warf sie sich, eine schwunghafte Melodie pfeifend, über die Schulter und trabte seinem Freund Grie hinterher, der ihm schon einige Schritte voraus war. Grie war zwar nicht ganz so groß und kräftig gebaut wie Jergen, legte mit seiner Leiter aber trotzdem einen ordentlichen Schritt vor, so dass Jergen ihn erst kurz vor dem Lagerhaus einholte. Grie schien tief in Gedanken versunken, denn als Jergen ihn leicht gegen die Schulter boxte, schrak er zusammen und sah ihn erstaunt an.
    „Na?“, fragte Jergen seinen Freund. „Willst du Brenna endlich fragen, ob sie deine Frau werden will?“
    Ein breites Grinsen trat in Gries Gesicht und er nickte.
    „Der Meister hat zugestimmt, mir die Meisterprüfung abzunehmen, so dass ich die kleine Werkstatt vom alten Hanso übernehmen kann. Dann kann ich Brenna ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit im Bauch bieten.“ Gries Euphorie war ansteckend und Jergen freute sich für seinen Freund. Klatschend krachte seine riesige Pranke auf Gries Schulter. „Alles Gute, Grie, ich drück‘ dir die Daumen.“

    o erreichten sie beide das Lagerhaus und Jergen kam nicht mehr dazu, sich weitere Gedanken über sein eigenes Vorhaben zu machen. Lufus hatte sie bereits von seinem Posten am Eingang des Lagerhauses erspäht. Der Lagermeister, ein penibler Mensch mit einer lauten Stimme, gab ihnen jetzt verschiedene Aufgaben, so dass der Tag schnell verging. Die Feststände mussten aufgebaut, die großen Kessel und Pfannen über die frischen Feuerstellen gehängt sowie Unmengen an langen Tischen und stabilen Bänken herangeschafft werden. Doch am späten Nachmittag war alles geschafft und Jergen konnte schon von weitem den unwiderstehlichen Duft von gebratenem Fleisch und gewürztem Gemüse riechen, das die Frauen über den Feuern zubereiteten.
    Dem Geruch nach zu urteilen würde es ein tolles Fest werden.

    Jergen hatte schon einen Blick auf die Musikanten erhaschen können, die gegen Mittag mit dem Schiff angekommen waren und dann bis zu ihrem Auftritt in der Dorfschule ihr Quartier bezogen. Schnell hatte sich die Nachricht herumgesprochen, dass der Lord Belial für dieses Fest extra eine der besten Musikantengruppen der gesamten Inseln nach Glitzerstadt geholt hatte, die Grünländer Goldkehlchen. Gerüchten zufolge ließ die Musik der Goldkehlchen sogar den Königssänger beschämt verstummen, einem Vogel, der wegen seiner schönen Lieder von den Frauen der reichen Kaufleute gerne im Käfig gehalten wird. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass Jergen sich schon lebhaft vorstellen konnte, wie er mit seiner Inessa über die Tanzfläche wirbeln würde, als er auf dem Weg zur Werkstatt seines Meisters Bolle Marmorstein an der Dorfschule vorbeikam und einige Melodien aus den Fenstern an sein Ohr drangen.

    In der Marmorwerkstatt angekommen fand er seinen besten Freund Grie, mit dem er sich eine Kammer im großen Haupthaus teilte, schon in seinen besten Sachen vor. Gerade kämpfte er noch mit einer störrischen Haarsträhne, die ihm nicht wie gewünscht verwegen ins Gesicht ragen wollte. Doch als er Jergen bemerkte, gab er seinen Versuch seufzend auf, um ihn dann mit einem breiten Grinsen anzustrahlen.
    „Na? Wie sehe ich aus?“, fragte er und breitete seine Arme aus.
    „Wie ein Mann, der bald unter der Haube ist.“, sagte Jergen anerkennend und holte seine beste Hose aus dem Schrank neben der Tür. Beim Anziehen überlegte er sich, was er zu Inessa sagen wollte, um sie auf die Tanzfläche zu locken. Da Grie schon voraus gegangen war, sprach Jergen jetzt mit sich selbst und versuchte, die richtigen Formulierung zu finden. Da er aber nur ein einfacher Lehrling war, der Tag für Tag auf Steine einschlug, wollten ihm die richtigen Worte einfach nicht einfallen und langsam wurde er immer nervöser. Das Fest würde bald beginnen und Inessa unzusammenhängende Worte vorzustammeln, das wollte Jergen nicht. Also probierte er mit steigender Verzweiflung weiter und zog vor Aufregung sogar sein Hemd verkehrt herum an.

    ls die Sonne sich dann dem Horizont näherte, war es endlich soweit. Einige Jagdhörner verkündeten die Ankunft von Lord Belial und seiner Gemahlin, der schönen Lady Hanina. Auf geschmückten Pferden kamen sie herbei geritten und wurde von vielen bunten Gestalten begleitet. Jergen rannte schnell durch das kleine Wäldchen, das den Steinbruch und die Werkstatt vom Dorf trennte und erreichte den Festplatz genau in dem Moment, als der Lord und seine Lady sich auf die Stühle auf dem kleinen Podest an einer Seite des Festplatzes setzen. Die Musikanten aus Grünland verneigten sich auf ihrer Bühne vor Lord Belial und Lady Hanina und stimmten schnell ihre Instrumente. Kaum hatte der Lord Ihnen zugenickt, begannen sie eine heitere Melodie zu spielen. Die Dorfbewohner hatten sich bereits auf den Bänken verteilt oder standen an den Festständen und bestellten kräftig Bier, am Spieß gebratenes Fleisch oder Gemüsesuppe aus den großen Kesseln. Und kaum hatten die Grünländer Goldkehlchen angefangen zu spielen, fanden sich auch schon die ersten Paare auf der Tanzfläche ein, um zu der flotten Melodie über die Tanzfläche zu wirbeln. Überall wurde gelacht und getrunken.

    Grie saß mit seiner Brenna im Arm auf einer der Bänke und kaute freudestrahlend an einem großen Stück Fleisch, das sie ihm mit einer Gabel in den Mund gestopft hatte. Jergen, der ihm gegenüber saß, hielt Ausschau nach seiner Inessa und beachtete die Fütterung überhaupt nicht. Inessa stand die ganze Zeit in der Nähe der Feststände und unterhielt sich mit ihren Freundinnen. Ab und an zeigten sie auf eines der jungen Paare, die auf der Tanzfläche ausgelassen tanzten, und steckten lachend die Köpfe zusammen. Sie jetzt vor allen Mädchen zu fragen, fehlte Jergen plötzlich der Mut.
    Grie, der gerade einen Bissen Fleisch herunterschluckte und seine Augen kurz von Brennas schön geschnittenem Kleid abwandte, schien Jergens Zögern und das Zusammensinken auf der Bank bemerkt zu haben.
    „Hey Jergen! Wenn du sie nicht fragst, dann wird das nie was.“
    Ein entmutigtes Seufzen.
    „Jergen?“, fragte Brenna. „Inessa tanzt sehr gerne, aber sie hat mir erzählt, dass kein Mann sich traut, sie zu fragen. Sie ist darüber sehr traurig. Frag sie einfach, ich glaube nicht, dass sie nein sagen wird.“ Überrascht starrte Jergen Brenna an, die ihn aufmunternd anlächelte. Erst als Grie ihm unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein verpasste, sprang Jergen plötzlich auf und grinste.
    „Tut mir leid, ihr beiden. Ich muss euch jetzt verlassen. Ich habe eine Verabredung zum Tanzen.“, sagte Jergen siegesgewiss und atmete tief durch. Grie und Brenna sahen ihm kurz hinterher als er sich auf den Weg machte und wandten sich dann wieder einander zu.

    Jergen begegnete Inessa mit ihren Freundinnen in der Nähe der Tanzfläche, als sie gerade auf dem Weg zum Bierausschank war. Er stellte sich der Gruppe einfach in den Weg, sah Inessa an und wartete, bis die Mädchen ihn bemerkt hatten. Als sie dann endlich bei ihm angekommen waren, sagte er: „Inessa, darf ich dich zu einem Tanz entführen?“ und verneigte sich mit einladend vorgestreckter Hand vor ihr. Das erstaunte Aufatmen der Gruppe und das darauf folgende Gekicher endeten abrupt, als Inessa ihre Hand leicht in Jergens geöffnete Hand legte.
    „Oh ja, das wäre schön.“
    Der junge Steinmetz dachte, ihm würde das Herz stehen bleiben, als er die federleichte Berührung bemerkte. Langsam richtete er sich auf und führte seine Tanzpartnerin mit einem breiten Lächeln zur Tanzfläche; fort von den Mädchen, die mit offenem Mund den beiden hinterher sahen. Inessa jauchzte als Jergen mit ihr wild umher tanzte und sie drehte, bis ihr schwindelig wurde.

    ie Zeit verging schnell, aber die beiden verließen das Tanzholz erst, als das Knurren von Jergens Magen die Musik übertönte. Inessa strahlte mit roten Bäckchen über das ganze Gesicht und ließ sich erschöpft von Jergen zu dem Feststand führen, an dem es Braten vom Spieß gab. Mit einer großen Portion Fleisch und einer Schüssel mit dampfendem Gemüse beladen setzten sich die beiden auf eine freie Bank und aßen hungrig. Die Schüssel war noch nicht einmal halb leer, als sich eine von Inessas Freundinnen mit einem schlaksigen jungen Mann zu den beiden setzte und sie in ein Gespräch verwickelte.
    „Inessa, kannst du dir das vorstellen? Jonas hat mit mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen sein möchte.“, sagte die dralle junge Frau und grinste den Burschen neben ihr verliebt an.
    „Und? Was hast du geantwortet?“, nuschelte Inessa aufgeregt mit vollem Mund.
    „Natürlich habe ich ja gesagt. Was glaubst du denn?“ Sinah schien ganz aus dem Häuschen und drückte ihrem Jonas einen dicken Kuss auf die Wange.

    Jergen, der durch das Tanzen mutig geworden war, drehte sich zu Inessa und fragte sie: „Inessa? Wollen wir morgen mit dem Boot auf die Vogelinsel fahren? Dort soll es jede Menge schöne Vögel geben. Wir könnten dort ein wenig umherwandern.“
    Die junge Frau lächelte und schien sich nicht so recht entscheiden zu können. Normalerweise fuhren nur Paare auf die Insel und sie kannte Jergen noch nicht näher. Sinah hingegen hüpfte auf ihrer Bank aufgeregt auf und nieder und warf flehende Blicke zu Jonas.
    „Was haltet ihr davon, wenn wir zusammen fahren?“, schlug Jonas vor. Jergen hatte sich das zwar anders vorgestellt, aber Inessa ließ sich von ihrer Freundin überreden und nickte.
    „Gut, dann ist das also abgemacht.“, sagte er und erklärte Jonas, wo sie sich kurz nach der Mittagszeit treffen würden.
    Geändert von Anatrocolo (31.08.13 um 13:45 Uhr)

  2. #2
    Neuankömmling Avatar von Chris_Sabion
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    ergen bemühte sich sichtlich, Inessa nicht anzustarren. ‚Nicht mehr lange, dann sind wir
    endlich da.’, dachte er. Das Ruderboot schaukelte auf den Wellen sanft auf und ab während Inessa mit geschlossenen Augen und geöffnetem Haar Jergen direkt gegenüber saß. Vergeblich versuchte er sich darauf zu konzentrieren, mit Jonas im Einklang zu rudern.
    Es gelang ihm nicht so recht, denn auch Inessa wogte sanft auf und ab und der Anmut, mit dem sie das tat, berührte Jergen. Irgendwo tief in seinen Eingeweiden regten sich lauter winziger Tausendfüßler, so schien es ihm. Die Hälfte des Wegs war geschafft, hier draußen hörte er nur das Meer und sein eigenes Herzklopfen.
    „Du hast aber ein paar kräftige Arme.“
    Jergen sah Sinah an, die hinter Inessa saß und über deren Schulter hervorsah.
    „D-das kommt wohl von meiner Arbeit“, antwortete Jergen kurz angebunden und drehte sich zu Jonas um. Er hatte das Gefühl, das Gespräch lieber in seine Richtung lenken zu wollen, da bemerkte er blaue Flecken an Jonas’ Fingern.
    „Ach, wo wir gerade dabei sind...ich weiß überhaupt nicht, als was Du arbeitest, Jonas.“
    „Ich bin Schreiberlehrling im Gelehrtenviertel. Ich arbeite in Meister Rothwins Buchbinderei.
    Meine Eltern sind recht wohlhabend, so konnten sie mir eine Ausbildungsstelle bei ihm sichern.“
    „Oh, wie interessant“, sagte Inessa und zwinkerte Sinah zu. „Da dürften demnächst wohl einige Liebesbriefchen ins Haus flattern, wie?“
    „Ach hör auf, Du machst ihn verlegen“, Sinah gab Inessa einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Jergen, der ganz froh darüber war, nicht mehr Thema des Gesprächs zu sein, konzentrierte sich weiter aufs Rudern und versuchte, Inessas Blicken auszuweichen. Ihr Anblick ließ sein Herz immer noch höher schlagen und er befürchtete, man würde es ihm anmerken.
    Plötzlich stand Sinah auf: „Da, seht!“
    Mit ausgestrecktem Arm deutete sie an den Dreien vorbei in die Richtung, in der sie ruderten.
    „Die Vogelinsel!“
    Die Männer legten die Paddel nieder und drehten sich um.
    Inessas Lächeln steckte Jergen an, und er sah glücklich in ihre Augen. Das würde ein für ihn unvergessliches Erlebnis werden.

    achdem das Boot durch einen Pflock und ein Tau am Strand verankert war, machten sich die vier jungen Menschen auf die Suche nach einem lauschigen Plätzchen. Sie alle liefen barfuss über den Strand. Jergen mochte es, wenn der Sand zwischen seine Zehen hindurch rieselte.

    Aus dem nahe liegendem Wald hörten sie alle Arten von Vögeln singen. Sie zwitscherten und trällerten wild durcheinander, und nur ganz selten konnten sie Blicke auf einzelne Tiere erhaschen, wenn sie von einem Baum zum nächsten flogen.
    „Welch liebliche Melodien“, schwärmte Jergen. Er blieb kurz stehen, um zu lauschen.
    „Melodien? Ich höre da nur ein wildes Durcheinander. Es scheint, als würden sich die Vögel im ewigen Wettkampf um die schönste Singstimme befinden, man kann sich ja unmöglich auf einen Vogel konzentrieren, um eine Melodie zu erkennen.“ Sinah war anscheinend nicht sehr angetan vom Vogelgesang.
    „Wer, wie ich, den ganzen Tag nur das Schlagen des Hammers zu hören bekommt, lernt die Geräusche der Natur mit anderen Ohren zu hören, schätze ich.“ Jergen wurde rot und sah nach unten, er wollte niemandem zu nahe treten.
    Jonas ergriff Sinahs Hand und blickte in Richtung Wald.
    „Ich werde losziehen und Dir den schönsten Singvogel bringen, den diese Insel beherbergt, auf dass Du Dich an seinem lieblichen Gesang erfreuen mögest, wann immer Du es wünscht, mein Herz.“
    Sinahs Blick wanderte zu Inessa herüber, und Jergen sah dass Sinah gluckste. Er hatte davon gehört, aber nie selbst miterlebt wie ein Mädchen vor Verzückung gluckste.
    „Jergen, möchtest Du mir vielleicht Gesellschaft leisten? Lassen wir den beiden ein wenig Zeit für ihre Mädchengespräche, was meinst Du?“
    Jonas sah Jergen freundlich an, und nach einem Blick Inessas, den Jergen als „Geh nur.“ deutete, folgte er Jonas in den Wald hinein. Sie gingen eine Weile bergauf, ohne einen Vogel zu sehen, als sie plötzlich mitten auf einer Lichtung standen. Im Süden lag der Wald vor ihren Füßen. Weit entfernt konnten sie den Strand mit ihrem Boot erkennen. Der Rest der Insel, das sahen sie nun, bestand aus zerklüfteten Felsen und unebenem Boden. Jergen wischte sich mit einem Taschentuch die glänzenden Schweißperlen aus seinem Nacken als er aus den Augenwinkeln etwas sah.
    „Schau mal Jonas, ist das eine Höhle?“
    Jonas sah in die Richtung, in die Jergen nickte und kniff die Augen zusammen.
    „Ja, Du könntest Recht haben. Das ist die Nordseite der Insel. Man sagt, nördlich von Glitzerstadt wird die Seefahrerei zuweilen recht ungemütlich...in den letzten Jahrhunderten sind schon mehrere Schiffe an den Klippen zerschellt, bis unser jetziger König erließ, dass Handelsschiffe künftig einen Umweg durch den Süden in Kauf nehmen müssen. Stell Dir vor, dass wir in der Höhle das eine oder andere Relikt eines untergegangenen Schiffes bergen könnten.“
    Jonas’ Gesicht hellte sich auf. „Wollen wir nachsehen?“
    „Was ist mit dem Vogel? Was ist mit Sinah?“ Jergen war nicht wohl bei dem Gedanken, die Mädchen allzu lang allein zu lassen.
    „Wir könnten sie holen. Es soll eine Überraschung sein. Stell Dir nur mal vor, was sich darinnen finden lassen könnte. Keine Frau kann dem Anblick von Gold und Geschmeide lange standhalten. Ihr oller Singvogel wird bald vergessen sein.“
    Jergen dachte sich dass Jonas damit wohl Recht haben könnte und setzte sich in Bewegung als er einen Aufschrei hinter ihm hörte.
    „So ein Mist, ich glaube ich bin umgeknickt. Au!“ Jonas rieb sich seinen rechten Fußknöchel.
    „Soll ich Dich stützen?“
    Jonas winkte ab. „Nein, nicht nötig. Aber ich fürchte ich muss hier auf euch warten. Bitte beeil Dich, ich versuche derweil einen Weg hinunter in die Höhle auszumachen.“
    Kaum war Jergens Gestalt zwischen den Bäumen verschwunden, stand Jonas auf und blickte zur Höhle.
    „Wartet, ihr Schätze. Bald halte ich euch in Händen.“
    Es begann bereits zu Dämmern, als Jonas die Höhle betrat.

    ie tief stehende Sonne beleuchtete den Höhleneingang, und Jonas stellte enttäuscht fest, dass die Höhle anscheinend nicht sehr tief in den Berg hinein führte.
    „Autsch! Na sieh mal einer an“, entfuhr es ihm, als er über einige Gebeine stolperte. Auf dem feuchtkalten Höhlenboden lag, von einer dicken Schicht staub bedeckt, das Skelett eines Menschen. Ob Mann oder Frau, das vermochte Jonas nicht zu sagen. Etwas weiter hinten sprang ihm eine unnatürliche Steinformation ins Auge. Eine steinige Tafel, scheinbar gekippt um als Tisch zu fungieren. Nein, kein Tisch. Jonas sah sich weiter um.
    Ein Altar!
    Auf der Steinplatte waren seltsame Runen eingraviert, die Jonas nicht kannte. In seinem Beruf bekam er es mit allen möglichen Schriften und Sprachen zu tun, die in diesem Königreich gebräuchlich waren, und einige davon konnte er bereits lesen, aber das hier...
    Fackelhalter waren an den Felswänden angebracht, aber hier schien schon lange niemand mehr gewesen zu sein.
    Jonas trat näher an den Altar heran, während er sich umsah. Diverse Dinge standen oder lagen auf der großen Steinplatte: Krüge, Federkiele und Tinte, genauso aber auch Werkzeuge. Eine große Zange lag dort.
    Der Lehrling streckte seine Hand aus und seine Fingerspitzen näherten sich dem Bronzewerkzeug...
    „Ach hier bist Du!“
    Jonas schrak zusammen und wischte die Zange vor Schreck mit einer Bewegung seiner Hand vom Tisch, sodass sie laut klirrend auf dem Steinboden landete und in einer dunklen Ecke liegen blieb.
    Dort im Höhleneingang stand Jergen, der jetzt auch näher kam.
    „Ich dachte Du würdest auf uns warten.“ Jergen sah sich um.
    „Mir ging es schon bald besser, und da dachte ich wäre sei eine gute Idee zu prüfen, ob der Weg auch sicher für die Mädchen ist. Da fällt mir ein: Wolltest Du sie nicht holen gehen? Wo sind sie?“
    „Sie sagten, sie seien an alten Höhlen nicht interessiert und würden den Abend lieber mit uns am Strand verbringen. Sinah ist auch nicht sauer wenn Du ihr keinen Singvogel bringst.“
    „Sie wissen nicht was ihnen entgeht.“ Jonas schien fast erbost darüber zu sein dass die Mädchen nicht mitgekommen waren. Er wollte Sinah mit seinem Fund beeindrucken. Oder war es die Enttäuschung darüber, dass die Höhle keine wertvollen Schätze beherbergte?
    Jergen war sich da nicht sicher, als ein Funkeln seine Aufmerksamkeit erregte. Neugierig trat er dem metallischen Schein entgegen.
    Unter dem linken Arm des Skeletts lugte ein eiserner Beschlag hervor. Es war ein Scharnier.
    „Sieh mal, das sieht aus wie ein Buch.“ Und tatsächlich entwand Jergen den menschlichen Überresten ein dickes Buch, welches mit Eisen beschlagen war.
    „Lass mal sehen!“
    Jergen legte das Buch auf dem steinernen Altar ab, wo Jonas mit der Hand darüberfuhr, um die Staubschicht wegzuwischen.
    „Canticum Insaniam“, murmelte er. „Was das wohl heißen mag?“ Jonas schlug das Buch auf, mehrere Asseln entwichen den Seiten und suchten sich ein neues, dunkles Plätzchen.
    „Das könnte interessant sein...leider fehlt Vieles. Hier sind eine Menge zerrissener Seiten, und einige scheinen komplett herausgerissen worden zu sein. Vielleicht sind das Aufzeichnungen einer vergangenen Zivilisation? Vielleicht sind es gesammelte Werke poetischer Literatur seiner Zeit? Oder die Erzählungen über große Taten vergangener Tage?“ Jonas schien so ins Buch vertieft, dass er nicht wahrnahm, wie es zusehends dunkler wurde. Als er zu lesen begann war die Sonne fast untergegangen und Jergen fragte sich, wie man in diesem Zwielicht überhaupt einen Buchstaben erkennen konnte.
    „Toter Vogel der fliegt,
    dunkle Sonne die rasend über den Himmel schleicht,
    ins steile Tal hinauf,
    wo laut kein Ton entweicht.
    Dort, auf dem Berg unter der Erde,
    schläft wachsam, was lange ruht,
    in grässlicher Schönheit erblassen die Farben,
    geweckt wird des Feiglings Mut.
    Der greise Jüngling spricht stumm über Sünde,
    verurteilt durch Gnade des einen Gerichts,
    feurig und lodernd nennt es seine Gründe,
    während das Leben langsam erlischt.“
    Beim letzten Wort wurde es endgültig dunkel in der Höhle. Doch es war keine natürliche Dunkelheit.
    Die Schatten schienen zu fließen wie Wasser, sie sickerten aus allen möglichen Ritzen, flossen zusammen zu größeren Pfützen aus Dunkelheit, und wogten über den blanken Leichnam, der unter ihnen zusammenbrach als laste ein großes Gewicht auf ihm.
    Die Schatten an den Wänden umspannten den gesamten Raum und nahmen langsam Form und Gestalt eines geflügelten Wesens an. Jergen wich langsam zurück Richtung Höhlenausgang, Jonas hingegen stand immer noch am Altar und starrte wie gebannt auf das Buch vor ihm, über das nun auch die Schatten glitten.
    Das geflügelte Schattenwesen trug eine Art Krone auf der Silhouette seines Kopfes. Beim näheren Hinsehen erkannte Jergen dass es keine Krone, sondern die Umrisse von Hörnern waren.
    Wenngleich der Schatten auch keine dritte Dimension besaß, so sah Jergen nun deutlich, dass sich der gehörnte Kopf ihm zuwandte, bevor der Schatten einen Arm ausstreckte welcher tatsächlich in den Raum hineinzuragen schien, und mit dem Finger auf ihn zeigte.
    Ein dünner Strahl schwarzen Schattens stieß aus der Fingerspitze auf ihn zu und durchdrang seine Brust.
    Jergen drehte sich um und rannte.
    Seine Beine trugen ihn den unebenen, felsigen Untergrund hinauf bis zur Lichtung und in den Wald hinein. Angetrieben von der Angst und dem Adrenalin in seinem Körper kam sich der muskulöse Junge federleicht vor. Beim Weiterlaufen bemerkte er dass sich seine Fingerkuppen langsam auflösten, als wäre er aus Staub.
    Schreiend rannte er weiter, aus dem Wald heraus und über den Strand.
    Die Mädchen waren schon in Sichtweite und kamen ihm entgegen.
    „Jergen, Jergen, was ist denn? Was ist los? Was ist mit Dir?“ rief Inessa ihm entgegen.
    Als Jergen bei ihr angekommen war sank er auf die Knie und löste sich vor ihren Augen auf. Mit ausgestrecktem Arm, der bereits bis zum Ellenbogen zu Staub geworden war, kniete er vor Inessa bevor der Wind seinen restlichen Körper ebenso wie seinen letzten Schrei auf das Meer hinauswehte, wo sich beides ins Nichts auflöste. Weinend ließ sich Inessa auf die Knie fallen. Sie glaubte, ihr fehlte jegliche Kraft um je wieder auch nur einen Schritt zu tun.
    Sinahs markerschütternder Schrei jedoch rief Inessa ins Hier und Jetzt zurück. Mit tränenden Augen sah sie zu ihrer Freundin hoch und verspürte nur noch den Drang, von dieser Insel zu verschwinden.

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    ls der Bug des Bootes sich in den Sand der Insel bohrte, hatten sich die beiden jungen Frauen immer noch nicht beruhigt. Trotzdem hatten sie es irgendwie geschafft, die kleine Nussschale des Fischers mit vereinten Kräften ins Wasser zu schieben und trotz der hohen Wellen zurück zu rudern, immer auf die Lichter der Häuser auf der Insel zu.
    Hand in Hand rannten sie den Strand hoch und durch die Dünen, als Inessa plötzlich stehen blieb.
    Sinah wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und fragte stotternd: „Inessa? Was ist los?“
    „Was ist da überhaupt passiert? Was wollen wir denn unseren Eltern und dem Kommandanten sagen? Die halten uns doch für verrückt!“
    Sinah blinzelte. „Wir erzählen einfach genau das, was passiert ist.“
    Verzweifelt hob Inessa die Hände, ließ sie dann aber wieder kraftlos fallen. „Das glaubt uns doch sowieso keiner.“, sagte sie mutlos.
    „Ich glaube, du hast recht.“, schniefte Sinah und wieder rannten ihr die Tränen über die Wangen.
    „Komm, wir gehen erst einmal zu meinen Eltern und fragen sie um Rat.“ Inessa wischte sich mit ihren Ärmeln über das Gesicht und ergriff Sinahs Hand. „Sie wissen, was wir am besten tun können.“
    So gingen beide unter den wachsamen Augen des Mondes den Trampelpfad zur Siedlung zurück, den auch die Fischer immer benutzten, um ihren Fang zum Markt zu tragen.

    ls sie dann an Willems und Tabrinas Tür klopften, wechselten sie einen kurzen Blick und atmeten tief durch. Es dauerte eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde und Sinah versuchte, tief durchzuatmen und nicht mehr in Tränen auszubrechen.
    Willem, der ihnen die Tür öffnete, war zur Hälfte schon in seinen Nachtkleidern und trug eine blau gepunktete Schlafmütze auf dem Kopf. Alleine die braune Hose und die schon aufgeschnürten Schuhe deutete darauf hin, dass die beiden eben erst ins Bett gehen wollten. Mit erstauntem Blick musterte er die beiden und lief dann sofort rot an, als er die beiden rotgeweinten Augenpaare bemerkte. „Was haben diese beiden Idioten getan?“, polterte er plötzlich los und riss die Türe auf. Sinah erschrak und fing sofort wieder an zu weinen. Inessa zog sie an sich und drückte sich an ihrem Vater vorbei, der laut schimpfend nach dem Knüppel suchte, der normalerweise direkt hinter der Türe stand. „Ich hau die beiden windelweich! Sie sollen mir nur unter die Augen kommen! NEIN! Ich geh sie suchen und dann setzt es was, dass die beiden übermorgen noch Sterne sehen!“, wetterte er, jetzt mit einem unförmigen Knüppel bewaffnet, an der offenen Tür.
    „Was ist denn hier los?“, rief Tabrina von der Treppe aus dazwischen. Damit beendete sie abrupt die lautstarke Schimpftirade von Willem, dessen Kopf bereits eine ungesund dunkelrote Farbe angenommen hatte, und lenkte die ganze Aufmerksamkeit auf sich.
    „Sie sind beide tot.“, schluchzte Inessa und ließ sich mit Sinah im Arm auf die Sitzbank in der großen Wohnküche sinken.
    „Was hast du gesagt?“, hakte Tabrina nach und kam nun auch die Treppe ganz herunter und setzte sich auf die Bank Inessa gegenüber. Willem stand mit offenem Mund und der Keule in der Hand vor der offenen Tür und starrte seine Tochter entgeistert an. Inessas Mutter wurde das nun langsam zu bunt. „Nun mach doch endlich die Tür zu, du alter Meckerkopf, und komm her.“, rief sie und stand auf, um Tee zu kochen.
    „Nun erzähl erstmal, was passiert ist, dann schauen wir weiter.“
    Stockend erzählten die beiden jungen Frauen, wie sie zu viert zur Insel gefahren waren und was sich dort abgespielt hatte.

    illem hörte ihnen mit nachdenklicher Mine zu und strich sich dabei gedankenverloren über seinen langen, grauen Bart, der einmal stattlich und dunkelbraun gewesen war. Da er seit vielen Jahren Händler war, hatte er von den Seefahrern und den anderen Händlern, die anders als er auch zu anderen Inseln reisten, schon jede Menge sonderlicher Geschichten gehört. Aber das hörte er zum ersten Mal.
    „Das wird euch wirklich keiner glauben.“, meinte er. „Jeder weiß, dass ein Mensch sich nicht einfach so in Luft auflöst.“
    „Willem hat recht.“, stimmte Tabrina ihm zu.“ Das könnt ihr nicht so rumerzählen. Alle werden euch für verrückt halten. Und deine Herrin, Remi Handelsfrau, könnte dich wegschicken, weil sie nichts damit zu tun haben will. Du weißt ja, wie sie ist.“, fügte sie hinzu und rollte mit den Augen.
    Der Händler ergriff die Hände der beiden Freundinnen und sah ihnen tief in die Augen. „Ihr werdet sagen, dass die beiden ertrunken sind. Heute Nacht ist es recht stürmisch und eine Welle könnte Jergen und Jonas aus dem Boot geworfen haben. Sie wurden abgetrieben und ihr habt sie dann nicht mehr gesehen und seid alleine weitergerudert, weil ihr Angst hattet, auch zu ertrinken. Habt ihr mich verstanden?“ Als beide ihm zunickten, drückte er kurz ihre Hände. „Und jetzt los, wir müssen es dem Kommandanten melden.“


    onas und Jergen sind also über Bord gegangen. Und da seid ihr einfach weiter gerudert?“, fragte Kommandant Helger. Er warf der stammelnden Inessa einen scharfen Blick zu, ohne sich um das Gejammer und das Weinen von Sinah zu kümmern. Ganz offensichtlich würde die Frau keinen Ton herausbekommen. Daher ging er mit hinter dem Rücken verschränkten Händen weiter vor der Händlerstochter Inessa auf und ab.
    „Wir konnten sie nicht mehr sehen und hörten sie auch nicht rufen. Eine Weile haben wir nach ihnen Ausschau gehalten, konnten in der Dunkelheit aber keinen finden. Die Wellen waren so hoch und schaukelten das Boot so heftig hin und her, dass wir Angst hatten, auch reinzufallen. Da sind wir ans Ufer gerudert.“
    Kommandant Helger nickte und setzte sich wieder auf seinen Stuhl hinter dem alten Schreibtisch, der nach etlichen Jahren Dienstzeit schon arg zerschrammt war. Es passierte hin und wieder einmal, dass ein Fischer ertrank, weil er trotz schlechten Wetters hinausfuhr, um zu fischen. Aber so nahe der Insel konnten sich die meisten noch ans Ufer retten. Vielleicht gab es also noch Hoffnung.

    ie Wachmänner unseres Dorfes müssten jeden Moment eintreffen. Tom holt sie gerade. Und Jonas‘ und Jergens Eltern sind bestimmt auch gleich da. Wir werden einen Suchtrupp bilden und den Strand absuchen.“, meinte Helger und zog seine dicken Stiefel an. „Vielleicht haben sie es ja noch ans Ufer geschafft.“
    Einen Augenblick später klopfte es auch schon an die Tür. Helger schnarrte sein „Tretet ein!“ und die Tür wurde geöffnet. Die ersten Wachmänner waren eingetroffen und gesellten sich im hinteren Teil des Raumes zu Willem und Tabrina, die das Geschehen aufmerksam verfolgten. Alle Männer waren mit Hut und Mantel bekleidet, Bronzeschwerter steckten in ihren Gürteln und jeder hatte eine Lampe dabei. Immer mehr Männer strömten herein. Langsam wurde es eng in dem doch recht kleinen Raum und der Kommandant drehte sich zu Inessa und Sinah und sagte: „Ihr könnt gehen.“ Das liessen sich die beiden nicht zweimal sagen und begleiteten Willem und Tabrina nach draußen. Die Tür fiel knarrend ins Schloss und Helgen schnaufte.
    ‚Na dann wollen wir mal.‘, dachte er, zählte die Leute durch und teilte sie in etwa gleichgroße Gruppen auf. Mit Hilfe einiger alter Steigbügel, die in einem schiefen Regal rechts von ihm lagen, breitete der korpulente Mann eine zerfranste, fleckige Karte auf dem Tisch aus und begann gerade, den einzelnen Gruppen Strandabschnitte zuzuweisen, als es schon wieder an der Tür klopfte. „Herein, zum Teufel noch mal!“, brüllte er und wieder knarrte die Tür in ihren Angeln.
    Geändert von Anatrocolo (12.09.13 um 18:21 Uhr)

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