„Die Enten sind wieder da!“
Nusala hatte ihre Teetasse an die Lippen angesetzt, als der Ruf von draußen an ihr Ohr gelangte. Statt zu trinken hob sie eine Augenbraue und blickte ihren Gastgeber an. Der schwarze Marshall verzog das Gesicht.
„Verzeiht. Ich weiß, ihr schätzt die Ruhe in meinem Wasserschloss, doch jeden Sommer glaubt der dumme Pöbel irgendwelche Enten auf dem See zu sehen“, seufzte er.
Nusala kicherte. „Ja, dieser Mythos hält sich hartnäckig. Die Stadt hat dem sagenumwobenen Entenpaar die Namen Weihnachtsmann und Weihnachtsfrau gegeben.“
„Ich glaube, die Arbeit in den Minen bekommt manchem Siedler einfach nicht.“, schnaubte er und erhob sich von seinem Stuhl. „Sehen wir uns mal an, welchen Aufruhr es dieses Mal gibt.“ Nusala stellte ihre Tasse ab und folgte ihm zum Balkon.
Am Südufer des Sees, wo die Siedler nach dem Tagewerk zum Entspannen in der Sonne lagen oder im Wasser badeten, hatte sich eine Menschentraube versammelt, die langsam größer wurde.
„Etwas werden sie gefunden haben, sonst gäbe es nicht so eine Aufregung.“, bemerkte sie.
„Pah, die halten doch jedes angespülte Treibholz für eine Seeschlange.“ knurrte er. „Aber jemand muss für Ordnung sorgen. Ich lasse ein Boot vorbereiten.“
Wenig später hatten zwei Ruderer die beiden ans Ufer gebracht. Als sie sich der Menge näherten, bemerkten sie auch zahlreiche Soldaten unter den Siedlern.
„Heda, Soldat.“ rief der Marshall einem jungen Rekruten zu. „Warum ist dieser Tumult noch nicht aufgelöst worden?“
Der Rekrut blickte sich entnervt um und wurde bleich, als er den Marshall in seiner blankpolierten schwarzen Rüstung erblickte. Sofort bemühte er sich strammzustehen und zu salutieren.
„Äh, Verzeihung, eure Grausam… ich meine, Sir!“, stotterte er. „Wir versuchten, die Ursache zu beseitigen… doch der Weihnachtsmann weigerte sich, den Strandkorb zu verlassen.“
Nusala hob erneut eine Augenbraue und schaute zum Marshall. Dessen Gesichtsfarbe wurde schlagartig puterrot.
„Seid ihr betrunken, Soldat??“, bellte er den bemitleidenswerten Rekruten an. „Wer ist euer zuständiger General? Ich sorge dafür, dass er euch das Proviantlager ausfegen lässt! Mit einer Haarbürste!!“
Nusala musste eine Hand vor den Mund heben, um ihr Grinsen zu verbergen. Als der schlotternde Soldat vom Marshall weggestoßen wurde, flüsterte sie ihm zu: „Ich weiß, ihr liebt es, wenn die Soldaten vor euch zittern. Vielleicht sollten wir für euch ein schwarzes Schloss auf der kleinen Insel errichten und Gerüchte von Folterkellern und Verließen für undisziplinierte Soldaten unter den Leuten verbreiten.“
Er schaute sie erst verblüfft an und lachte dann herzlich. Das ist der Mann, den nur ich kenne, dachte sie.
Anschließend setzte er wieder ein ernstes Gesicht auf und drängte sich durch die Menge zum Zentrum des Geschehens. Die Menge hatte sich wild diskutierend um einen Strandkorb versammelt, verstummte aber als der Marshall den Kreis betrat und einen Blick in den Korb warf. Kurz darauf drehte sich der Marshall mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck zu ihr um.
„Und, was hat das Treibholz gesagt, oh Fürst der Finsternis?“, neckte sie ihn.
Er blickte sich kurz in der Menge um. Dann räusperte er sich und sagte: „Der Weihnachtsmann kommt scheinbar auch zu warmen Jahreszeiten… Außerdem hat er seine Frau mitgebracht. Und sie bekommen Nachwuchs.“
Nusala blickte zu den Siedlern, doch offenbar wusste keiner, wie er sich in Gegenwart des berüchtigten schwarzen Marshalls verhalten sollte. Also brach sie das Eis.
„Nun, ich schätze es wäre unangebracht, die werdenden Eltern ihres Nestes zu berauben oder gar einzusperren. Was meint ihr?“, fragte sie ihn schmunzelnd.
Er blickte noch einmal in die Menge und lächelte gequält.
„Selbstredend werden wir ihnen keine Feder krümmen. Ich lasse ein paar meiner Männer einen Schutzzaun um das Nest errichten.“
Als sie sich von der jubelnden Menge entfernten, brummelte er: „Eure Idee mit dem schwarzen Schloss… ich glaube, das würde helfen meinen Ruf hiernach wieder herzustellen.“